Zum Thema Achtsamkeit einige „unsortierte“ Gedanken, die in keiner Weise den Anspruch auf Vollständigkeit erheben und zur Auseinandersetzung einladen sollen.

 

Was ist „Achtsamkeit“?

Etwa sich selbst und anderen gegenüber achtsam zu sein? Mitgefühl und Empathie? Die eigenen Bedürfnisse nicht egoistisch durchsetzen, sondern die Bedürfnisse anderer angemessen berücksichtigen und das größere Ganze anstreben? Oder dass das Management Entscheidungen hinsichtlich ihrer langfristigen Auswirkungen auf Menschen (Motivation, Gesundheit) und Sachen (Umwelt, Ressourcen) vorab überprüft und auf die Durchsetzung maximaler egoistischer Bedürfnisbefriedigung (betriebswirtschaftliche Ergebniserwartungen), die langfristig Raubbau an menschlichen und sachlichen Ressourcen bedeutet, verzichtet?

 

Einladung zur Änderung…

Sollen mit dem Thema „Achtsamkeit in Unternehmen“ die Organisationsmitglieder eingeladen werden, achtsam auf sich selbst zu sein? Wäre es ggf. „erlaubt“, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rechtzeitig Überforderungssymptome kommunizieren und ggf. darauf bauen können, dass sie ernst genommen werden? Das das Management ggf. bereit ist, betriebliche betriebswirtschaftliche Erwartungen an die aktuelle Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter anzupassen?

 

… oder nur ein Boom?

Wird bei dem Boom, den das Thema „Achtsamkeit“ seit einiger Zeit in Unternehmen erfährt, verfolgt, die persönliche Resilienz der Organisationsmitglieder zu stärken, so dass sie (noch) mehr bereit sind, den an sie gerichteten Anforderungen bestmöglich zu genügen? Ganz egal, ob es sich bei den Anforderungen um „rechte“ Absichten, wie die Buddhisten es nennen, handelt? Dass sie durch mentale Übungen, wie Meditation und Entspannungstechniken, ein anderes „inneres Verhältnis“ zu den Anforderungen, die sich selbst nicht ändern, gewinnen sollen, um somit mit dem empfundenen Druck besser umgehen zu können?

Sollen Organisationsmitglieder lernen, mit dem durch subjektiv erlebte Überforderung entstehenden Distreß besser umzugehen? Also die Resilienz zur Anpassung zu festigen (Lösung 1. Ordnung nach Paul Watzlawick)? Oder soll bessere Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber geschult werden?  Sollen Mitarbeiter und Führungskräfte sensibilisiert werden, rechtzeitig die Weichen in Richtung Gesunderhaltung zu stellen, wenn sie merken, dass die an sie gerichteten Anforderungen sie über kurz oder lang in den Burnout treiben (Lösung 2. Ordnung)?

 

Besseres Stress Coping – noch mehr des selben?

Die mir aktuell bekannten propagierten Ziele eines Achtsamkeitstrainings zielen überwiegend auf Lösungen 1. Ordnung hin. Und dies bedeutet, nach Paul Watzlawick, eine Problemverschlimmerung. Problemverschlimmerung, weil auch durch besseres Stress Coping, welches ja das Ziel hat, mit den Anforderungen, die nötig sind, um mit psychisch ungesunden Kontexten besser umgehen zu können, keine wirkliche Hilfe generiert werden kann. Kurz: Maßnahmen, die zum Ziel haben, sich durch bessere Achtsamkeit noch besser an subjektiv erlebte Überforderungssituationen anpassen zu können, sind ein untaugliches Unterfangen. Es geht dabei nämlich nur um Symptombehandlung. Natürlich hilft es eine Weile. Ich bin in der Lage, mich durch kontemplative Techniken von Distreßauswirkungen -oberflächlich- zu schützen. Wenn ich mich zum Beispiel von Versagungs-Ängsten, die mich schlagartig ereilen, sofern ich mich von einer an mich gerichteten Anforderung überfordert fühle, durch entsprechende Bewusstseinshaltung (Reframing) der Anforderung mit mehr „aufmerksamer Gelassenheit“ begegne. Mich nicht in einen blinden Aktionismus einladen lasse, sondern mich proaktiv agierend dem Thema zuwende. Damit natürlich auch, sofern die Energie noch ausreicht, bessere Ergebnisse erziele, wenn sie auch nur kurzfristige Dauer haben (da die Ursache der Überforderung nicht gelöst ist, sondern lediglich das Symptom behandelt wird).

Meine persönliche Haltung zum Thema „Achtsamkeit in Organisationen“.

 

Ich sehe aktuell die Gefahr,

dass viele Angebote darauf hinauslaufen, dass nach Lösungen 1. Ordnung abgezielt wird. Also das Individuum seine Resilienz durch Achtsamkeitsübungen stärken soll, ohne dass sich an den Kontextbedingungen etwas ändert. So lange Unternehmen Ergebniserwartungen nach noch schneller, noch besser im Sinne von Gewinnmaximierung einfordern, die ohne Rücksicht auf die schädlichen Folgen für die Gesundheit von Menschen und den Planeten Erde durchgesetzt werden Vorrang haben, werden Achtsamkeitstrainings nur Kosmetik sein. Es werden falsche Hoffnungen genährt und die Teilnehmer an Achtsamkeitstrainings werden über kurz oder lang merken, dass ihre veränderte Einstellung (mehr Gelassenheit, mehr Empathie) nur sehr bedingt hilft, um ihre psychische und physische Überforderungserfahrung abzubauen. Die Frustration über das Handeln des Managements im Sinne von Rücksichtslosigkeit gegenüber den Folgen ihrer Entscheidungen bis hin zum Betrug an Kunden und Mitarbeitern wird zunehmen.

Wenn das Thema „Achtsamkeit“ ganzheitliche Aufmerksamkeit erfährt und somit unternehmerische Entscheidungen sich an den Folgen ihrer langfristigen Wirkungen auf Mensch und Umwelt orientieren, Mitarbeiter durch Achtsamkeitsübungen lernen, sich selbst und anderen mit mehr Empathie und einer „Ich bin okay – Du bist okay“ Haltung zu begegnen, dann wäre dem Anliegen, welches Achtsamkeit (aus buddhistischer Sicht) verfolgt, bestmöglich Rechnung getragen.

Was meinen Sie?